X

Das Schweizer Recyclingsystem birgt Milliarden an versteckten Kosten

In der Schweiz wird der Druck auf mehr Separatsammlungen immer grösser. Das betrifft insbesondere Kunststoff. Auf Effizienz und tatsächlichen Umweltnutzen werde dabei weniger geachtet, kritisiert Mario Bonato von Avenir Suisse.

Die Schweiz betitle sich selbst gerne als «Abfallweltmeisterin», sagt Mario Bonato, Researcher bei Avenir Suisse. Und tatsächlich lande die Schweiz beim Recyclingvolumen je nach Zählweise weltweit auf den vorderen Rängen. Wie effizient die Schweiz beim Recycling aber sei, und was das koste, sei indes fraglich.

Sortierleistung erfolgt durch private Haushalte

Für etliche Abfallstoffe sei in der Abfallverordnung VVEA vom Bundesrat die Separatsammlung festgelegt worden. Anders als in anderen Ländern, beispielsweise in einigen US-Bundesstaaten, erfolge die Sortierung aber nicht maschinell, sondern durch die privaten Haushalte bzw. die Konsumenten. Dieses System sei jedoch mit Nachteilen behaftet, erklärt Bonato.

Schätze man die Kosten für die private Sammlung, Aufbewahrung und Trennung des Abfalls, würden sich Zahlen in ungeahnter Höhe ergeben, wie er sagt. Wähle man dazu einen Stundensatz wie er beispielsweise für Haushaltsarbeit oder als Mindestlohn für Reinigungsarbeit üblich sei, erhalte man Kosten von zwischen 3,2 und 5 Milliarden Franken. So viel unbezahlte Arbeit würden die Haushalte aggregiert und vom Gesetz vorgeschrieben in das Schweizer Recycling System stecken, rechnet Bonato vor.

Rund 50% des entsorgten Abfalls wären noch rezyklierbar

Dabei sei das Resultat dieser «Separierungswut» unbefriedigend, reklamiert er. Rund 50% des entsorgten Kehrichtsackes wären stets noch rezyklierbar, zitiert er das Bundesamt für Umwelt (BAFU) von 2014. Ob der durchschnittliche Schweizer Haushalt mit den vorgeschriebenen zwölf Separatsammlungssystemen überfordert sei, oder schlichtweg das Interesse verloren habe, sei dahingestellt. Die grossen Mengen an Papier und biogenem Abfall, die verloren gingen, stellten dem Separatsammlungssystem aber schlechte Noten aus, mahnt er. Das System sei ineffizient und teuer.

Politische Vorstösse verschärften das Problem

Gut gemeinte, aber schlecht durchdachte Vorstösse im Parlament würden das Problem weiter verschärfen, fährt Bonato fort. Der neuste Surfer auf der «grünen Welle» sei das Kunststoffrecycling. Durch die weitere Differenzierung der Separatsammlung solle die Schweizer Umweltbilanz verbessert werden. Es stünden auch eine Vielzahl von möglichen Profiteuren staatlicher Gelder mit der hohlen Hand bereit. Für die Umwelt sei der Nutzen jedoch überschaubar. So würden sich gar Vertreter der Umweltorganisation Greenpeace melden, und würden sich gegen das Kunststoffrecycling aussprechen.

Grosse Mengen Plastikmülls werden vom Recycling nicht erfasst

Laut Bonato solle man bedenken, dass 46% der Masse des Plastikmülls in den Ozeanen aus Fischnetzen bestehe; er zitiert dazu das Magazin «Nature» von 2018. Demgegenüber würden hiesige Plastikröhrchen und Plastiksäcke eine klar untergeordnete Rolle im globalen Kunststoffproblem spielen, findet Bonato. Sämtliche Flüsse Amerikas und Europas würden zusammen knapp 1% des weltweiten Abfalls in die Meere tragen (Lebreton et al. 2017). Auch mit einem reinen Schweizer Fokus würden mehr als 90% des Mikrokunststoffes vom Reifenabrieb (Empa 2019) stammen – ein Problem, welches sich mit einem separatem Kunststoffrecycling nicht lösen lasse.

Erweiterung der Separatsammlung verursacht zusätzliche Kosten

Das Interesse an Plastikrecycling sei bei den Konsumenten zwar riesig, sagt Bonato, doch werde diese Erweiterung der Separatsammlung zusätzliche Kosten verursachen. Die Kosten pro Tonne separat gesammelten Kunststoffs beliefen sich auf etwa 500 Franken (Bunge 2019). Mit rund 460’000 Tonnen jährlichen Kunststoffabfalls würden die direkten jährlichen Kosten wohl 200 Millionen Franken übersteigen – von der privaten Sammelleistung ganz zu schweigen. Dabei werde die Grundproblematik nur symbolisch angegangen, so Bonato. Damit reihe sich das Kunststoffrecycling passend in das bestehende System der Separatsammlung ein: Es sei ineffizient und teuer.

Wechsel auf Single-Stream-System erhöht die Rezyklierungsrate

Am anderen Ende einer immer differenzierteren Separatsammlung stehe das sogenannte Single-Stream-Recycling, erklärt Bonato. Dabei werde sämtlicher Abfall in einer Tonne gesammelt, und dann an einer zentralen Stelle per Hand und Maschine getrennt. Vielfach würden von Recyclingvertretern Bedenken geäussert, dass der Konsument in einem Single-Stream-System den Respekt vor dem Abfall verlöre, weil er alles nur noch in ein, zwei Tonnen werfen könne. Diese Angst sei jedoch wenig begründet, findet Bonato. Eine ältere Studie weise bei der Systemumstellung von einer relativ differenzierten Separatsammlung zu einer Single-Stream-Sammlung eine 15%-Erhöhung der Rezyklierungsrate aus (Oskamp 1996). Aber auch neuere Studien würden das gestiegene Volumen beim Wechsel auf Single-Stream bzw. bei der Vereinfachung der Sammlungsprozesse durch Single-Stream bestätigen (Bell et al. 2017).

Ziele festzuschreiben statt Methoden gesetzlich zu verankern wäre besser

Laut Bonato ist weder das eine noch das andere Extrem zu wünschen. Er fände es viel besser, Ziele festzuschreiben, und die Methoden nicht per Gesetz zu verankern. In der Schweiz werde der Druck auf ein Mehr an Separatsammlung allerdings immer grösser. Auf Effizienz und tatsächlichen Umweltnutzen werde dabei weniger geachtet. Das schlechte Gewissen lasse sich mit der Ersatzhandlung des separaten Kunststoffrecyclings gut beruhigen. Die hohen Kosten würden mehrheitlich andere tragen. Nur die Umwelt habe von dem ganzen Brimborium leider herzlich wenig, so sein Fazit. Avenir Suisse ist eine Denkfabrik und Stiftung, die sich am Weltbild des klassischen Liberalismus und der Marktwirtschaft orientiert.